Antworten, die Falsche Anklagen Widerlegen

von Dr. Franz Xavier Brandmayr

 

EIN HEILIGMÄSSIGES LEBEN

 

Kaiser Karl I. von Österreich wird am. 3. Oktober 2004 seliggesprochen. „Er  suchte den Frieden, half den Armen, führte mit Entschiedenheit ein geistliches Leben. Der Glaube  bestimmte sein Leben von Jugend an, vor allem während des Weltkriegs sowie im Exil auf der Insel Madeira, wo er heiligmäßig starb.“ So fasste der Präfekt Kongregation für die Heiligsprechungen, Kardinal José Savaria Martins, die Ergebnisse des Seligsprechungs-prozesses zusammen. Das geistliche Programm Karls lässt sich in den Worten zusammenfassen, die er am Tag seines Todes zu seiner Frau sprach: „Ich will dir jetzt einmal in aller Klarheit sagen, wie ich es halte: Mein ganzes Streben geht stets dahin, so klar wie möglich in allem den Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen, und zwar so vollkommen wie nur möglich.“ (Dies könnte als allgemeine Definition eines heiligmäßigen Lebens gelten.)

 

Als einziger der führenden Verantwortlichen aller Seiten im Ersten Weltkrieg hatte Karl Fronterfahrung. Er bemühte sich nach Kräften, die Gräuel des Krieges konkret zu lindern und einen Frieden herbeizuführen. Als Kaiser begriff er den Frieden als die Königspflicht schlechthin. In seiner Regierungserklärung nannte er daher den Frieden als zentrales Ziel. Nur Karl nahm die Friedensbemühungen Papst Benedikt XV. auf und erarbeitete in dessen Sinn eine Reihe von Lösungsvorschlägen (die von Historikern als durchaus realistisch und aussichtsreich eingeschätzt werden). All diese Bemühungen scheiterten letztlich am Siegfriedens-Wahn der bestimmenden Kräfte (Hindenburg, Ludendorff) beim deutschen Bündnispartner und an der Anti-Friedens-Partei der Entente. Karl war für den Frieden zu beträchtlichern Opfern bereit und richtete auch nach seiner Entmachtung sein ganzes Bestreben darauf, den Frieden und die Stabilität unter seinen Völkern und allen Nationen Europas zu erlangen und zu befestigen. Die Versuche, die politische Macht in Ungarn wieder auszuüben, unternahm Karl auf Bitten des Papstes in der Sorge um Stabilität und Freiheit in diesem Land. Sein Todesleiden sah der Kaiser als Opfer für Frieden und Einheit in der Mitte Europas.
Es gelang Kaiser Karl wegen der übermächtigen Gegenkräfte zwar nicht, die Donaumonarchie geeint in den Frieden zu führen, er konnte aber (gegen dezidierte deutsch-österreichische Pläne) die Unabhängigkeit Österreichs bewahren und durch die Einrichtung von Nationalräten einen friedlichen Übergang aus der Monarchie in die Nachfolgestaaten veranlassen.

 

Nicht nur im Sinne der individuellen Nächstenliebe nahm sich Karl von Kindheit an um die Menschen in Not an, denen er begegnete. Als Kaiser trug er ein umfassendes Sozialprogramm mit. Er ernannte den ersten Sozialminister der Welt und ermöglichte vom Mieter- bis zum Jugendschutz, vom Familienrecht bis zur Sozialversicherung, vom Arbeitsrecht bis zum Projekt für Arbeiterkammern neue Dimensionen der Sozialpolitik. Die Grundstrukturen dieser Maßnahmen sind bis heute in Kraft.

 

Das ihm verliehene Amt sah Kaiser Karl als Auftrag Gottes. Das bedeutete keineswegs eine Legitimation willkürlicher Machtausübung, sondern die unbedingte Pflicht, gerade auch in dieser hohen Position Christus, dem einzig wahren König, nachzufolgen und sein Beispiel nachzuahmen. Daher traf Karl keine wichtige Entscheidung ohne Gebet. Eine innige Verehrung der Eucharistie und des heiligsten Herzens Jesu (beides Symbol und Ausdruck der hingebungsvollen Liebe Gottes) gab dem Kaiser Halt und Orientierung. Diesen Auftrag konnte Karl nach seiner Amtsauffassung nicht zurücklegen. Eine Abdankung hätte ihm wohl (wie Kaiser Wilhelm II.) Reichtum und Bequemlichkeit gesichert. Karl nahm das Gegenteil in Kauf und ertrug wenig später Elend, Not und Todesleiden - das Resultat einer Krankheit, die er sich mit etwas Vermögen und unter günstigeren Umständen wohl nicht zugezogen hätte. Er nahm dieses Kreuz geduldig auf sich, um seiner Aufgabe treu zu bleiben und im Dienst für die ihm anvertrauten Völker Christus nachzufolgen.

 

Karl und Zita führten eine vorbildliche Ehe. In Offenheit und Vertrauen besprach der Kaiser alle wichtigen Angelegenheiten mit seiner Gemahlin, die voller Respekt für seine Verantwortung und Autorität war. Der leidenschaftlich-lebendige Charakter der Kaiserin und das ruhig-bedachte Wesen des Kaisers ergänzten sich in gegenseitiger Wertschätzung auf liebevolle Weise. In elf Ehejahren wurden dem Paar acht Kinder geschenkt. Das gerade auch bezüglich des Familienlebens überaus sorgfältige geführte Seligsprechungsverfahren hat das tadellose Verhalten Kaiser Karls als Ehemann klar erwiesen. Die letzten Worte, die Karl an seine Frau richtete, lauteten: „Ich liebe dich unendlich.“
Kaiser Karl bemühte sich persönlich um die religiöse Erziehung seiner Kinder, machte sie mit den Glaubenswahrheiten vertraut und führte sie ins Gebet ein.

 

Karl lebte in einer lebendigen Praxis des Gebets. Seine grundlegende Haltung war die des Gebets: bewusst vor Gott stehend, dessen Willen suchend und ihm alles anvertrauend.
Von Kindheit an begleiteten betende Menschen das Leben Karls. Über seinen Tod hinaus betete die 1895 gegründete Gebetsliga im Sinne Kaiser Karls und begleitet von seiner Fürsprache für den Frieden der Völker.

 

Karls Bescheidenheit, Freundlichkeit und Versöhnungsbereitschaft wurden ihm vor allem von Zynikern der Macht als Schwäche, ja Dummheit angekreidet. Dieser Angriff richtet sich gegen die „Torheit“ des Christen, der sich nach den Geboten Gottes und dem Beispiel Christi zu verhalten versucht und auf Gott vertraut.
Ob ein Leben vor Gott – und damit auch vor dem definitiven Ausgang der Geschichte – glückt, hängt nicht vom unmittelbaren irdischen Erfolg ab. Sonst könnte Christus nicht unser Vorbild sein. Wer angesichts aller widrigen Umstände und eigener Begrenztheiten dem Willen Gottes zu entsprechen versucht, dessen Leben wird heilig und damit auch nachhaltig wirksam.

 

Das Beispiel Kaiser Karls beweist, dass man selbst im Bereich des Politischen, in dem sich wohl niemand von Schuld völlig frei zu halten vermag, ein heiligmäßiges Leben führen kann.

 

 

DAS WUNDER

 

Niemand wird nur wegen eines Wunders seliggesprochen. Im Verfahren zur Seligsprechung muss zunächst die Heiligmäßigkeit des Lebens erwiesen werden. Erst wenn diese festgestellt ist, wird ein Wunder, das auf die Fürsprache der betreffenden Person geschah, aufs genaueste geprüft.
Im Falle Kaiser Karls ging es dabei um die Heilung der Maria Zita Gradowska, einer aus Polen stammenden Ordensfrau, die in Brasilien tätig war. Es ging dabei nicht um die bloße Heilung von Krampfadern (der Ausdruck alleine bietet sich für halblustig-spöttische Bemerkungen ja geradezu an...)
Schwester Maria Zita litt bereits in jungen Jahren unter starken Schmerzen in den Beinen. Seit 1944 kam es zu inneren Blutungen und drei Jahre später zum ersten offenen Geschwür. Eine Operation schloss das Geschwür, verminderte aber weder Ödeme noch Schmerzen.
Es traten weitere offene Geschwüre auf. Eines davon galt als inoperabel und schloss sich auf keine Therapie hin. Schwester Maria Zita war schließlich ans Bett gefesselt.
Eine Mitschwester riet ihr, sich um die Fürbitte Kaiser Karls I. von Österreich, zu bemühen. Das wollte Schwester Maria Zita aber nicht, da sie den Habsburgern eher ablehnend gegenüberstand.
Im Dezember 1960, als Schwester Maria Zita trotz Beruhigungsmittel wieder einmal nicht einschlafen konnte, entschloss sie sich doch zu einer kurzen, ängstlichen Fürbitte an Kaiser Karl und versprach, am nächsten Tag eine Novene zu beginnen. Der Schmerz hörte auf, die Schwester schlief ein.
Am folgenden Tag erwachte Maria Zita Gradowska ohne Schmerzen. Die vorher offene Wunde war trocken verschorft. Die Schwester konnte aufstehen, in die Kapelle gehen und dort zum Gebet niederknien. Die Wundkruste viel wenig später ab. Das Geschwür war völlig abgeheilt, die Schmerzen waren und blieben bis zu Tode Maria Zitas im Jahre 1989 (im Alter von 95 Jahren!) verschwunden. Es traten keine weiteren Probleme des venösen Kreislaufs mehr auf und Schwester Maria Zita konnte ungehindert ihrer Arbeit nachgehen.
Es gibt auch in Seligsprechungsverfahren nicht sehr viele Fälle derart offensichtlicher, sichtbarer Wunderheilungen.

 

 

DIE SIXTUSBRIEFE

 

Zu den aussichtsreichsten Friedensbemühungen im Ersten Weltkrieg zählten jene, bei denen Kaiser Karl die Vermittlung seines Schwagers Prinz Sixtus von Bourbon-Parma in Anspruch nahm. Der Kaiser strebte Bedingungen an, die alle Kriegsparteien das Gesicht wahren und erneut stabile Verhältnisse in Europa entstehen lassen sollte. Der englische Premier Lloyd George quittierte diese Vorschläge mit den Worten: „Das ist der Friede.“ (Hindenburgs, Ludendorffs und Kaiser Wilhelms Wahn vom Siegfrieden ließ auch diese Chance scheitern.)
Kaiser Karl wurde in diesem Zusammenhang vorgeworfen, er hätte den deutschen Bündnispartner verraten, weil er in dem Brief „die gerechte Forderung nach Rückgabe Elsass-Lothringens [zu] unterstützen“ versprach, und er hätte gelogen, weil er leugnete, dieses Angebot gemacht zu haben.
Der Deutsche Kaiser war von den Friedensbemühungen Kaiser Karls unterrichtet. Es war in Erwägung gezogen worden, Deutschland für den Verlust Elsass-Lothringens durch die Abtretung Galiziens zu entschädigen. Auch Außenminister Czernin wusste von den Briefen, hielt sich aber bedeckt.
Wie bei solchen Geheimverhandlungen gang und gebe, wurde absolute Vertraulichkeit vereinbart – mit dem Hinweis, die Vorschläge würden dementiert, wenn ein Teil sie veröffentlichte.
Als Frankreichs Premier Clemenceau auf eine provokante Rede Czernins hin den Brief publizierte, zwang Czernin den Kaiser unter Selbstmorddrohungen, das Schreiben als reinen Privatbrief zu deklarieren.
Als Czernin in dieser Situation den Kaiser politisch entmachten und den Anschluss an Deutschland herbeiführen wollte, hielt der Kaiser stand und Czernin musste zurücktreten.
Die Sixtus-Briefe boten eine der größten Friedenschancen im Ersten Weltkrieg. Kaiser Karl bekannte sich noch im Exil zu ihnen.

 

 

GASKRIEG

 

Der Ersteinsatz von tödlichem Giftgas stellte einen Bruch des kriegsrechtlichen Verbots besonders grausamer Waffen dar (obwohl Giftgas erst in der Genfer Konvention von 1926 ausdrücklich erwähnt wird) und ist auf jeden Fall moralisch verwerflich.
Erzherzog Karl verhinderte an der Südostfront persönlich den Einsatz von Kampfgas. Kaiser Franz Joseph hatte nach deutscher Demonstration diese Waffe für Österreich nur im Verteidigungsfall erlaubt. (Karl erwähnt dieses Verbot in seinen persönlichen Aufzeichnungen.)
In der 5. Isonzoschlacht setzten italienische Truppen Reizgas ein. Kaiser Franz Joseph gestattete daraufhin einen Giftgas-Blase-Angriff - worin wohl ein Völkerrechtsbruch zu sehen ist.
Als Kaiser Karl Macht und Verantwortung übernahm, war der Einsatz von Kampfgas bereits auf allen Seiten üblich und stellte somit keinen Bruch des Völkerrechts mehr dar.
In der 12. Isonzoschlacht kam am 17. Oktober 1917 von Seiten der verbündeten deutsch-österreichischen Truppen Kampfgas mit furchtbarer Wirkung zur Anwendung. Wenn diese auch von deutschen Truppen vorgenommen wurde, so doch mit österreichischem Einverständnis.
Nach der verlorenen Piave-Schlacht (Juni 1918) wurde Kaiser Karl die Wirkungslosigkeit des Gasangriffs vorgeworfen (der einzigen österreichischen Gaswerferattacke). Die Propaganda sprach von „Zita-Gas“ – der Kaiser habe unter Einfluss seiner „italienischen“ Frau nur Tränengas gegen die Italiener einsetzen lassen. Gegen diese Anschuldigungen wehrte sich der Kaiser und stellte dar, dass er Sorge für eine den militärischen Erfordernissen entsprechende Ausstattung seiner Truppen getragen hatte (wie es seine Pflicht war).

 

 

RESTAURATIONSVERSUCHE

 

Die beiden Versuche, in Ungarn seine königliche Verantwortung und Aufgabe wieder auszuüben, unternahm Karl (als ungarischer König IV.) nach Aufforderung durch den französischen Ministerpräsidenten Briand und auf ausdrücklichen Wunsch Papst Benedikt XV. Karl entsprach damit auch seinem ungarischen Krönungseid. Die geradezu prophetische Sorge des Papstes galt der kommunistischen Bedrohung Ungarns und ganz Europas. König Karl sollte stabile Verhältnisse schaffen und im weiteren eine Konsolidierung der Mitte Europas herbeiführen.
Ungarn war 1921 Königreich und König Karl IV. war (anders als in Österreich und Böhmen) nicht für abgesetzt erklärt worden. Der faktische Machthaber, Admiral Horthy, regierte als Reichsverweser (König Karl betrachtete ihn als seinen Palatin, also seinen Stellvertreter).
Den ersten Restaurationsversuch im März/April 1921 unternahm Karl im Vertrauen auf seine königliche Autorität und auf die Loyalität der Verantwortlichen ganz ohne militärische Bedeckung. Reichsverweser Horthy hinterging Karl jedoch, betrieb ein Doppelspiel und lieferte ihn den Besatzungsmächten aus.
Der zweite, militärisch durchaus erfolgsversprechende Restaurationsversuch scheiterte am Verrat ungarischer Generäle. König Karl ließ ihn abbrechen, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden. (Horthy hatte die Lüge verbreitet, Karl rücke mit tschechischen Truppen in Ungarn vor.)

 

 

TRINKER UND FRAUENHELD

 

Die Vorwürfe, Kaiser Karl sei Alkoholiker gewesen und habe intime Verhältnisse zu anderen Frauen unterhalten, wurden im Seligsprechungsverfahren nach eingehender und sorgfältiger Prüfung vollständig entkräftet.
Der Kaiser führte vielmehr gerade in bezug auf Essen und Trinken ein besonders spartanisches Leben (Kriegsrationen, sauren Wein, äußerste Mäßigung beim Alkohol). Seiner innig geliebten Frau war er bis zum Tode unverbrüchlich treu.
Nur unmittelbar nach der Erlangung der Großjährigkeit hatte sich Erzherzog Karl moralische Eskapaden zuschulden kommen lassen, was er bitter bereute und sowohl seiner Frau als auch seiner Schwiegermutter vor der Ehe eingestand.
Die Verleumdungen gegen Karl kamen im wesentlichen aus zwei Quellen, die beide die Identifikationsfigur des Kaisers zerstören, den Frieden verhindern und Österreich auflösen wollten: eine britisch-tschechisch-freimaurerische (Henry Wickham Steed, Robert Steaton Watson und Eduard Benes) und eine deutsch-nationale (um Ludendorff), die den Anschluss propagierte.

 

 

SCHWACH UND UNVORBEREITET

 

Als reine Propagandalügen konnten von den Historikern auch die Vorwürfe entlarvt werden, Kaiser Karl habe sein Amt völlig unvorbereitet angetreten und sei wenig intelligent, leicht manipulierbar und völlig von seiner Frau abhängig gewesen.
Erzherzog Karl durchschritt eine sorgfältige Gymnasial- und universitäre Ausbildung, die allerdings ohne Abschlussprüfungen bleiben musste, weil Kaiser Franz Joseph diese „Konkurrenz“ nicht wünschte. Karls militärische Qualifikationen als Generalstabsoffizier sind voll des Lobes. (Vergleiche mit den Qualifikationslisten anderer Erzherzöge zeigten, dass dies keineswegs selbstverständlich war.)
Die Kaiserin wurde zuerst von der englischen Propaganda Lord Northcliffs und dann auch von der deutschnationalen Propaganda in Deutschland als „verräterische Französin“ und in Österreich als „verräterische Italienerin“ bezeichnet, weil sie eine Bourbon-Parma war. Tatsächlich aber fand Kaiser Karl in seiner Gemahlin eine respektvoll-energische Stütze. Die tiefe gegenseitige Liebe der beiden war Basis vertrauensvollen Austausches.
Die Charakterfestigkeit des Kaisers wurde gerade beim Zusammenbruch der Monarchie, im Exil und bei seinem Sterben unüberbietbar deutlich. Er gab keiner materiellen oder ruhmverheißenden Versuchung nach sondern erfüllte seine Aufgabe bis zur Selbstaufopferung und hielt seinen Krönungseid.