Eine Leitfigur für die Völker Europas

von Mag. Dr. Stefan Krummel

 

„Wir brauchen Europa“. Unter diesem Titel hat Jürgen Habermas eine Erneuerung des europäischen Bewusstseins gefordert. Er fügt hinzu, dass das europäische Projekt einer normativen Grundlage bedarf, kraft derer man die jeweilige Perspektive des anderen in die eigenen Überlegungen einbezieht, statt nur die Optimierung des eigenen Nutzens zu suchen. Er schließt seine Überlegungen, hinsichtlich der aktuellen Finanzkrise, mit dem Satz: „Mit ein bisschen politischem Rückgrat kann die Krise der gemeinsamen Währung das herbeiführen, was sich manche einmal von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik erhofft hatten: das über nationale Grenzen hinausgreifende Bewusstsein, ein gemeinsames europäisches Schicksal zu teilen.“

 

 

Europa ist mehr als die Europäische Union


Wenn wir über Europa nachdenken, haben wir es mit einem anspruchsvollen Begriff zu tun. Europa ist mehr als die Europäische Union, sie ist mehr als bloße Wirtschafts- und Vertragsgemeinschaft, sie ist auch mehr als bloße Wertegemeinschaft; zumal auch zu definieren wäre, von welchen Werten wir sprechen wollen. Gar nicht vergessen dürfen wir den Fakt, dass die Neuordnung Europas, nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges, programmatisch als eine Ordnung des Friedens und der Versöhnung erfolgte. Und hier sind wir bei einem zentralen Kennzeichen Europas. Der Religion. Warum sage ich das, und warum wähle ich bewusst einen großen Intellektuellen unserer Tage, der von sich behauptet, religiös unmusikalisch zu sein und dennoch den Beitrag der Religionen für unverzichtbar hält?

 

Weil die historische Redlichkeit uns einmahnt, genau in diesem Zusammenhang von einem Mann zu sprechen, dem diese Publikation gewidmet ist. Kaiser Karl von Österreich. Es sprengt naturgemäß den Rahmen einer solchen Einleitung, hier auf die komplexen und detailreichen Ereignisse seines politischen, wie religiösen Lebens eingehen zu wollen. Dennoch können wir festhalten, dass er einer der ganz großen Europäer war. Ausgangspunkt seines politischen und sozialen Handelns ist die soziale Lehre der Kirche, die er spirituell und intellektuell übernimmt.

 

Das gilt nicht nur für den konkreten Einsatz im Sinne des Friedens, inklusive der Bereitschaft, dafür große Opfer in Kauf zu nehmen, sondern auch für eine größere Vision des Begriffes der „Nation“. Der „übernationale“ Gedanke, den Europa zu verwirklichen sucht, ist ein altes und tiefes Anliegen der Kirche und ihrer großen Gelehrten. Bereits Francisco de Vitoria hatte im 16. Jahrhundert die bahnbrechende Idee einer mehrere Nationen übergreifenden Verfassung. Er hielt eine weltweite civitas civitatum zur Sicherung des Gemeinwohls der Menschheit für naturrechtlich geboten. Gleichsam grundgelegt in der Seinsverfassung des Menschen. Vitorias Überzeugung nach sind alle Glieder des „orbis“ auf gegenseitige Hilfe und wechselseitigen Dienst angewiesen, um die Nöte der Menschheit zu meistern.

 

Bald nach dem 1. Weltkrieg fordert Papst Benedikt XV. die Begründung einer consociatio civitatum. Also eine Vereinigung, eine Verbindung, ja eine Verbrüderung von Staaten.

 

Noch vor dem Ende des 2. Weltkrieges betont Papst Pius XII. um der Friedenssicherung willen, ein Organ vorzusehen, welches aufgrund eines  gemeinsamen Beschlusses jede Angriffsdrohung mit höchster Autorität im Keim ersticken solle. Freilich unter der Beachtung der Rechtsgleichheit der Völker.

 

Karl dachte „seine Völker“ in einer klaren Vision des Miteinanders, unter den Aspekten von Frieden und Gerechtigkeit. Danach handelte er auch. Er tat das unter außergewöhnlichen historischen und persönlichen Bedingungen. Er tat dies mit vorbildlicher Qualität im Sinne der Menschen, der Völker, der Menschheitsfamilie.

 

Vielleicht mögen die Worte unseres derzeitigen Papstes noch einmal verdeutlichen, was auch, angepasst an den damaligen Zeithorizont,  Grundlage und Richtschnur eines großen Österreichers und Europäers war: Joseph Ratzinger sagte, „… dass nicht jede politische oder ökonomische Vereinigung, die in Europa geschieht, als solche schon europäische Zukunft bedeutet. Eine bloße Zentralisation wirtschaftlicher oder legislativer Kompetenzen kann auch zu einem beschleunigten Abbau Europas führen, wenn sie etwa auf eine Technokratie hinausliefe, deren einziger Maßstab in der Konsumsteigerung läge. Umgekehrt haben solche Institutionen … ihren Wert als Überwindung der Anbetung der Nation und als Teile einer Friedensordnung. … Konstitutiv für Europa ist … die innere Zuordnung von Demokratie und Eunomie, von unmanipulierbarem Recht. Der Parteienherrschaft und Herrschaft der Willkür gegenüber hat Europa auf die Herrschaft der Vernunft und der Freiheit geachtet, die nur als Herrschaft des Rechts Bestand haben kann. Machtbegrenzung, Machtkontrolle und Transparenz der Macht sind Konstitutive der europäischen Gemeinschaft. Deren Voraussetzung ist die Unmanipulierbarkeit des Rechts [und die] Kontrolle der Macht durch das Recht, [die] Unantastbarkeit des Rechts durch die Macht und [die] Normierung des Rechts am Ethos.“ Und weiter:

 

„Der Nationalismus hat nicht nur de facto Europa an den Rand der Zerstörung gebracht. Er widerspricht dem, was Europa seinem Wesen nach geistig und politisch ist - auch wenn er die letzten Jahrzehnte der europäischen Geschichte beherrscht hat. Daher sind übernationale politische, wirtschaftliche und rechtliche Institutionen nötig, die allerdings nicht den Sinn haben können, eine Super-Nation aufzubauen. … Regionale, nationale und supranationale Institutionen sollten so ineinander greifen, dass Zentralismus wie Partikularismus gleichermaßen ausgeschlossen werden ...“

 

Jesu Wort zu der Steuermünze: „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist“ gilt zurecht als ein Fundamentalsatz der europäischen politischen Kultur. Er gilt in besonderer Weise für  Karl, dem in allen seinen Bemühungen sowohl die göttliche, wie auch die weltliche Perspektive ein notwendiges und unverzichtbares Anliegen war. Welt und Gott und Gott und Welt sind fundamental aufeinander bezogen.

 

Der Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, spiegelt letztlich dieses Verhältnis zwischen Staat und Kirche wider. Im Artikel 17 heißt es: (1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. (2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen. (3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags, einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“

 

Als sicher gilt: Europa ist als eines der größten Friedensprojekte der Menschheit gedacht. Wir alle täten gut daran, uns stärker der großen Dimension des europäischen Gedankens zu erinnern. Für die darin zugrundeliegende geistige Haltung mag auch das Leben Otto von Habsburgs, des jüngst verstorbenen Sohns Karls, als  anschauliches Beispiel dienen. Kardinal Christoph Schönborn hat ihn als“großen Europäer von katholischer Weite“ gewürdigt.

 

Karl gebührt höchster Respekt, er war einer der ganz großen Kämpfer für diesen Frieden, ein herausragendes Vorbild für die Völker Europas und das war er auch in herausragender Weise als Christ, als Soldat, als Vater und eben auch als Kaiser Karl von Österreich.